Die Unwetterereignisse der letzten Zeit in Deutschland haben uns sehr schmerzlich vor Augen geführt, welche katastrophalen Folgen der Klimawandel mit sich bringt. Den Betroffenen muss möglichst schnell und unbürokratisch geholfen werden. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um den Schutz vor solchen Extremereignissen deutlich zu verbessern. Aber wir müssen auch das Pariser Klimaschutzabkommen und die Forderungen des jüngsten Bundesverfassungsgerichtsurteils mit aller Kraft umsetzen, um den Klimawandel einzudämmen und noch schlimmere Folgen zu verhindern.
Die SPD als wichtige gestaltende Partei in Deutschland wird sich darum neben dem Ausstieg aus Kohle und Kernenergie weiter für den deutlichen Zubau von Erneuerbaren Energien einsetzen. In den letzten 20 Jahren hat die Energiewende in Deutschland von acht Prozent kommend einen EE-Stromanteil von rund 50 Prozent erreicht. Leider hat das Ausbautempo insbesondere bei der Solar- und Windenergie deutlich abgenommen. Deshalb werden wir die zwei wichtigsten Werkzeuge wieder stärken. Mit den von Rot-Grün eingeführten Gesetzen, nämlich dem EEG 2000 und dem KWKG 2002 erfolgte die Öffnung des Marktes für neue Akteure und die Abkehr von Monopolen. So konnten, erstens, BürgerInnen, LandwirtInnen, Gewerbebetriebe, Genossenschaften, Contractoren und Kommunen erheblich in dezentrale Energiegewinnung aus Wind, Sonne und anderen erneuerbaren Quellen investieren und zum Rückgrat der Energiewende werden. Diese Situation wollen wir wieder herstellen und deutlich verbessern. Und, zweitens, den Einspeisevorrang sicherstellen sowie eine feste, verlässliche Vergütung bis zu 20 Jahren sicherstellen.
Auch wenn es in den letzten Jahren in den Hintergrund geraten ist – und im Widerspruch zu vielen Werbebotschaften steht – werden wir unseren Energieverbrauch senken, Energie sparen und die Energie-Effizienz erhöhen müssen. Kein „Immer Mehr“, sondern sorgsamer Umgang mit begrenzten Ressourcen in einer vollen Welt mit bald acht Milliarden Menschen ist die Aufgabe unserer Zeit. Wir nutzen dafür die Technik, die uns heute kosteneffiziente erneuerbare und effiziente Stromerzeugung ermöglicht und wir nutzen Digitalisierung, die Vernetzung und Dezentralisierung ermöglicht. Die SPD als Zukunft-gestaltende Partei traut sich zu, diesen Wandel voranzutreiben und sozialverträglich zu gestalten: Das ist die Aufgabe unserer Zeit und der SPD heute.
Vor diesem Hintergrund hat die Projektgruppe „Energiewende“ des SPD Klimaforums zum Themenfeld Energiewende diesen 10-Punkte-Plan ausgearbeitet und schlägt folgende Maßnahmen nach Regierungsübernahme im Herbst in Form von Gesetzesänderungen und -anpassungen vor:
- Abschaffung der Ausbaukorridore (Obergrenzen) bei Photovoltaik und Windenergie. Stattdessen werden ambitionierte Ausbaumindestziele definiert, bei deren Unterschreitung sofort Maßnahmen ergriffen werden, um den Ausbau der erneuerbaren Energien wieder anzukurbeln. Der Mindestzubau bei der Windenergie wird auf mindestens 10 GW pro Jahr und bei der Solarenergie (Fotovoltaik) auf mindestens 12 GW pro Jahr angehoben.
- Verzicht auf Ausschreibungen, die nach Europa-Recht nicht zwingend erforderlich sind, um damit mehr Projekte schneller und einfacher in die Umsetzung zu bringen. Das EU-Beihilferecht muss an die Pariser Klimaziele angepasst werden. Hierzu ist den Mitgliedsstaaten in der neuen Richtlinie für Erneuerbare Energien die Freiheit zu gewähren, ihre eigenen Politikinstrumente zu wählen, entsprechend der Energiefreiheit der Nationalstaaten, wie sie im Vertrag von Lissabon verankert sind. Die Einspeisevergütungen werden wieder staatlich festgelegt, damit möglichst schnell Anreize für einen verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien geschaffen werden. Damit haben vor allen Dingen die vielen kleinen Akteure (BürgerInnen, Energiegenossenschaften, etc.) wieder deutlich bessere Handlungsmöglichkeiten und die Umsetzungsprozesse werden wesentlich beschleunigt. Bei einer drohenden Unterschreitung der Ausbauziele werden die Vergütungssätze nach oben angepasst, um damit den Ausbau anzureizen.
- Deutliche Beschleunigung von Genehmigungsprozessen, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu forcieren. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen werden so verändert, dass bei Windprojekten die Genehmigungsverfahren, inklusive aller notwendigen emissionsschutzrechtlichen und naturschutzfachlichen Prüfungen, spätestens nach zwei Jahren abgeschlossen sind. Für PV-Freiflächen wird zur Ausbaubeschleunigung die Privilegierung in das Baugesetzbuch aufgenommen, damit zeitaufwändige raumplanerische Verfahren bis hin zur Aufstellung von Bebauungsplänen für jedes einzelne Projekt vermieden werden können.
- Einführung einer generellen Solarpflicht für Gebäudedächer oder Fassaden bei Neubauten und energetischen Gebäudesanierungen, wobeidafür gesorgt werden muss, dass die Bewohner vom günstigen Solarstrom direkt profitieren. Die Gebäudeeigentümer müssen in die Lage versetzt werden, den mittels Erneuerbarer-Energieanlagen direkt an den Immobilien des Quartiers erzeugten Strom ohne zusätzliche Abgaben an die Nutzer (Mieter, Eigentümer) der Gebäude weiterzugeben. Dadurch können auch Mieter vom günstigen Solarstrom profitieren. Der Ausbau-Deckel beim Mieterstrom wird abgeschafft. Darüber hinaus wird die Personenidentität gemäß § 61 EEG abgeschafft und eine Gleichstellung der Eigenerzeugung mit einer Direktstromlieferung durch Dienstleister (Stadtwerke, Energiegenossenschaften, Contractoren etc.) hergestellt. Dies dient der gezielten und schnellen Potenzialerschließung insbesondere im Geschosswohnungsbau und damit der Teilhabe der BürgerInnen an der Energiewende.
- Anpassung des EEG-Umlage-Systems und damit Reduzierung der EEG-Umlage auf die tatsächlichen Förderkosten der erneuerbaren Energien (entspricht ca. 40 Prozent). Zum einen ist es dazu notwendig, dass die besondere Ausgleichsregelung für energieintensive Unternehmen zukünftig aus dem Steuertopf finanziert wird und nicht mehr von den anderen Stromkunden getragen werden muss. Es handelt sich dabei um eine Industriesubvention, die nichts mit den erneuerbaren Energien zu tun hat. Die Unternehmen, die in den Genuss der besonderen Ausgleichsregelung kommen, müssen Maßnahmen zur effizienteren Energienutzung ergreifen, andernfalls wird die ermäßigte EEG-Umlage sukzessive angehoben. Dringend muss die aktuelle EEG-Umlageberechnungsgrundlage auf Basis des Börsenstrompreises durch einen gerechteren Ansatz ersetzt werden. Dass den erneuerbaren Energien der von diesen verursachte niedrigere Börsenstrompreis zum Verhängnis wird, ist sofort zu ändern. Da die meisten Stromanbieter den größten Anteil ihres Stroms nicht an der Börse besorgen, muss als Berechnungsgrundlage für die EEG-Umlage ein durchschnittlicher Beschaffungspreis ermittelt werden. Bei einer Reduzierung der EEG-Umlage auf die tatsächlichen Förderkosten erneuerbarer Energien würde diese auf Grund des sukzessiven Herausfallens alter, teurer Anlagen zukünftig sinken. Der Zubau neuer EE-Anlagen wirkt sich bereits jetzt kaum mehr auf die EEG-Umlage aus.
- Erhöhung der CO2-Abgabe und sofortige Einführung eines Energie-Geldes als sozialer Ausgleich. Die immensen Schäden von Unwetterkatastrophen können nicht ausschließlich aus dem Steuertopf, durch Spenden oder durch die Betroffenen selbst getragen werden. Darum ist die Einführung einer CO2-Abgabe richtig und eine Internalisierung der erheblichen Folgekosten der fossilen Energien die richtige Maßnahme. Um dem Verursacherprinzip gerecht zu werden, muss diese Abgabe allerdings noch deutlich erhöht werden. Da dies allerdings zu einer Verteuerung der fossilen Energien und damit zu einer sozial neuen Belastung führt, müssen vor allen Dingen BürgerInnen, die finanziell schlechter gestellt sind und nicht eigenständig auf erneuerbare Energien umstellen können (z. B.: MieterInnen), entlastet werden. Neben der direkten Nutzung günstiger erneuerbarer Energien über Mieterstrom-Projekte wird darum ein Energiegeld (einheitlicher Betrag pro Kopf) ausgezahlt. So werden auch diejenigen belohnt, die bereits klimafreundlich leben.
- Gemeinsame Betrachtung aller Sektoren Strom, Wärme und Mobilität sowie Speichern. Abgaben, die die Sektorkopplung behindern, werden abgeschafft. Temporäre, regionale Stromüberschüsse aus erneuerbaren Energien werden von der Stromsteuer, Netzentgelten und anderen Abgaben befreit, wenn sie zwischengespeichert oder zur Konvergenz der Energiemärkte eingesetzt werden, z. B. in Power-to-Heat- und Power-to-Gas-Anlagen. Man darf sich hier nicht allein auf Wasserstoff fokussieren, sondern muss auch alle anderen Speichermöglichkeiten in Betracht ziehen, wie saisonale Wärmespeicher in Wärmenetzen und Quartierskonzepten.
- Wasserstoff nur dort einsetzen, wo es Sinn macht. Es darf nur ausschließlich „grüner“ Wasserstoff zum Einsatz kommen. Dieser muss in erster Linie direkt am Ort des Verbrauchs erzeugt werden und sollte in Bereichen eingesetzt werden, in denen eine direkte EE-Stromnutzung nicht möglich ist (z. B.: Stahl- und chemische Industrie). Staatliche Förderung werden in erster Linie auf diese Bereiche ausgerichtet.
- Die Wärmewende vorantreiben und mit dem Stromsektor gekoppelt betrachten. Heute erzeugen wir nur ca. 15 Prozent unserer Wärme erneuerbar, es besteht großer Handlungsbedarf, denn Wärmeversorgung macht etwa 50 Prozent unseres Endenergieverbrauches aus. Im Gebäude-Neubau muss der Verbrauch durch klare Vorgaben zu Bautechnik und Anlagentechnik gesenkt werden. Wärme soll in Neubauten mit erneuerbaren Energien erzeugt werden, dabei sollen Power-to-Heat und Wärmepumpen verstärkt zum Einsatz kommen. Neubaugebiete und Quartiere werden mit kalter Nahwärme auf Basis oberflächennaher Geothermie mit Sole-Wasser-Wärmepumpen zum Heizen und Kühlen hocheffizient und klimaneutral versorgt. Die Tiefengeothermie soll dort intensiv genutzt werden, wo sie zur Verfügung steht. Dazu sind entsprechende Förderprogramme aufzulegen. Die Sanierungsquote im Bestand wird durch entsprechende Förderprogramme und Förderwerkzeuge erhöht. Hierzu gehört die Einführung degressiver Abschreibungsmöglichkeiten für Investoren und Eigentümer im Bereich des Wohnungsbaus und der energetischen Sanierung. Zudem muss dafür gesorgt werden, dass Maßnahmen zur Verbesserung der Klimabilanz sowohl den Eigentümern wie auch den Mietern zu Gute kommen (z.B.: Warmmiete). Fossile Wärmeerzeugung wird nach und nach durch erneuerbare Wärmeerzeugung ersetzt. Wo es möglich ist, sollten erneuerbar betriebene Wärmenetze effizient betrieben werden. Wärmepumpen, Abwärme, Solarthermie usw. können je nach Einsatzgebiet geeignet sein. Biomasse steht nur begrenzt zur Verfügung und sollte sparsam eingesetzt werden. Für eine Übergangszeit können Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK), mit Erdgas oder Biogas betrieben, das Mittel der Wahl sein. Diese können evtl. später mit teurem Power-to-Gas betrieben zur Spitzenlastabdeckung dienen, wenn keine effizienteren Möglichkeiten verfügbar sind.
- Im Mobilitätsbereich CO2-Reduzierung vorantreiben. Mit weit unter 10 Prozent erneuerbarem Anteil ist die Mobilität das Schlusslicht der Sektoren. Zur Stärkung des ÖPNV werden entsprechende Förderprogramme aufgelegt. Im Bereich Bahn werden die Investitionen erhöht. Andererseits werden die direkten und indirekten Subventionen fossiler Mobilität sukzessive beendet. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Einführung einer Kerosinsteuer wird unterstützt. Die Ladeinfrastruktur muss, insbesondere im privaten Bereich und an den Arbeitsstätten, verbessert werden. Das Laden von batteriebetriebenen E-Autos muss an allen öffentlichen Ladesäulen einfach möglich sein. Dazu muss ein einheitliches Abrechnungssystem eingeführt werden.
Dieses 10-Punkte-Programm zur Energiewende ist in erster Linie auf Maßnahmen ausgerichtet, die schnell und einfach umzusetzen sind und dabei mit überschaubaren Kosten auskommen. Sie werden unmittelbar Wirkung zeigen. Auf dem Weg zu einem klimaneutralen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sind allerdings viele weitere Schritte notwendig, die sukzessive umgesetzt werden. Dezentrale, regionale Quellen der Erneuerbaren Energien müssen möglichst vollständig und wo immer es geht erschlossen werden, statt wie in Vergangenheit und Gegenwart große Energiemengen zu importieren.
17. September 2021
Kontakt zur Projektgruppe Energie: sepp.mittermeier@spd-vaterstetten.de.