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Kleiner Nachbar, großes Vorbild – Nachlese zum Plenum des Klimaforums am 21. Juni 2024 mit Dr. Peter Vollmer

7. Juli 2024

Zum Thema „Die Mobilitätswende als wichtiger Pfeiler der Klimapolitik: Hintergründe der Erfolgsgeschichte des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz“ referierte Dr. Peter Vollmer (ehem. Direktor Verband öffentlicher Verkehr (VöV) der Schweiz; ehem. Nationalrat). 

Einleitend betont Dr. Peter Vollmer, dass die Energiewende nicht ohne Verkehrswende gelingen könne. Dazu müssten die Verkehre in den Blick genommen werden. So seien die Freizeitverkehre größer als die Berufsverkehre, würden aber weniger beachtet. Zudem müsse mehr Sozialverträglichkeit gewagt werden. Ein Tempolimit sei vor diesem Hintergrund eine soziale Lösung.

Dann stellt er fest, dass in der Schweiz andere natürliche Gegebenheiten vorherrschten: So werde vor allem auf Wasserkraft statt auf Kohle gesetzt. In den Bergen seienAutomobile grundsätzlich weniger geeignet. Zudem gebe es in der Schweiz keine Automobilindustrie und kaum Streiks. 

Die Erfolgsgeschichte der Schweiz beruhe auf einem deutlich dichteren öffentlichen Verkehrsnetz. Es bestehe ein Anspruch auf Anbindung. In Deutschland sei das gegenteilige Phänomen mit einer Netzausdünnung zu beobachten. Die Anbindung in der Schweiz sei besser. In der Schweiz gebe es weiterhin einen dichten Fahrplan. Dies bedeute mindestens einen Halbstunden-Takt und auf den frequentierten Strecken einen Viertelstunden-Takt. Das Angebot sei kurzum umfassender. Überdies handele es sich in der Schweiz um ein integriertes System: Alle Verkehrsträger seien untereinander abgestimmt,es gebe nur ein Ticket, einen Fahrplan, ein Marketing, eine Verteilung und eine Kundeninformation.

Das Konzept dahinter heiße „Bahn 2000“ und sei eine Revolution mit Vorbildwirkung. Darin seien Knoten definiert. Die Ankunft eines Verkehrsmittels erfolge kurz vor der vollen Stunde, die Abfahrt kurz nach der vollen Stunde. So würden Anschlüsse und Umstiege gesichert. Die Trassen seien auf Takt getrimmt worden. Am Takt orientiere sich der Ausbau.Es gehe nicht darum, möglichst schnell, sondern möglichst zuverlässig Verkehre anbieten zu können. Deutsche Züge würden wegen Verspätungen nicht mehr in die Schweiz durchgebunden. In Basel müssten so beispielsweise Ersatzzüge stehen.

Im Bereich des Ticketing gebe es in der Schweiz unter anderem das sogenannte Generalabonnement. Dies entsprecheder Bahncard 100 und dem D-Ticket und sei sehr beliebt. Die sogenannte Familienformel garantiere Familienfreundlichkeit.In Zahlen sei das Generalabonnement 436.000-mal verkauft,die sogenannte Halbtax als Bahncard-50-Äquivalent 3 Mio.-mal. In Deutschland müssten diese Zahlen mit Faktor 10 veranschlagt werden, lägen aber weit darunter. Dies zeige diegroße Annahme des Angebots, wenngleich es nicht günstig sei. Die Investitionen in die Schieneninfrastruktur pro Kopf lägen in Deutschland bei etwa 53 Euro und in der Schweiz bei etwa 308 Euro. Die Finanzierung in der Schweiz erfolge durch einen Fonds und sei verfassungsrechtlich abgesichert. In Deutschland bestehe ein Finanzierungszyklus von einem Jahr,in der Schweiz von über 12 Jahren. Dadurch werdePlanungssicherheit geschaffen.

Zudem seien die öffentlichen Verkehr in der Schweiz ein Identifikationssymbol. Dafür stehe das Postauto mit dem Posthorn. Alle Parteien stünden hinter dem öffentlichen Verkehr. Durch die verfassungsrechtliche Rückbindung werdeder Kunde zum Besteller.

Im Bahngüterverkehr gebe es noch mehr zu tun. DieBevölkerung habe vorgegeben, dass Güter auf die Schiene gehörten. Dies sei die sogenannte Alpeninitiative. Der Vorgaben zu folgen sei rechtlich herausfordernd: Dazu wurde ein Limit insgesamt festgelegt sowie eine Transitgebühr und ein Sonntagsfahrverbot. Zudem sei die Bahn als Alternative ausgebaut worden, so dass Wachstum nur über die Schiene erfolgen könne.

Nach dem vergleichenden Vortrag schließt sich eine rege Diskussion über Tarife, Mobility Pricing, Ausbauperspektiven,Marktöffnung und Wettbewerb an. Viele Aspekte rund um die öffentlichen Verkehre seien in Deutschland in den letzten Jahrzehnten durch Autozentrismus und Gewinnorientierung vernachlässigt worden. Dr. Peter Vollmer freut sich, dass der Diskussions-Tenor lautet, die Schweiz sei ein Vorbild. Zugleich seien auch dort noch Verbesserungen denkbar.

Das SPD-Klimaforum bedankt sich sehr herzlich bei Dr. Peter Vollmer für seinen Besuch und den engagierten Austausch.