Mit Dr. Holger Busche, Professor Heiner Monheim und Norbert Holtz von der Klimabahn-Initiative.
Nach einer kurzen Einführung in die Thematik und die Herausforderungen rund um die Bahn in Deutschland sowie einer Vorstellung der drei Gäste stellen Professor Monheim und Dr. Busche das Konzept der Klimabahn vor. Dieses beruht auf drei Säulen: Takt vor Tempo, kleinere Verbesserungen und Schiene entlang der Autobahn sowie – erst in einem dritten Schritt – Neubauprojekte. Damit könne schnell und wirksam ein maßgeblicher Verbesserungseffekt in puncto Angebot und Verlässlichkeit der Bahn erreicht werden. Die Verlagerung von Personen- und Güterverkehren auf die Schiene kann so nach Einschätzung der Experten effektiviert werden.
Zur Vertiefung:
- Papier „Verdreifachung des Schienenverkehrs bis 2030„
- Papier „Klimabahn als Basis der Verkehrswende„
- Fachlicher Hintergrund zum Weckruf „Verdreifachung des Schienenverkehrs bis 2030 – Mit Takt vor Tempo für die Klimabahn“
In der nachfolgenden Diskussion werden verschiedenste Aspekte des Konzeptes, der Gesamtlage und der derzeitigen Politik erörtert und ergründet:
Politik am Bedarf vorbei?
Die Diskussion beginnt mit der Feststellung, dass das heutige Bahnsystem keine Resilienz aufweise. Zudem schlügen sich die Bahnstilllegungen der letzten Jahrzehnte negativ auf Regionalentwicklung und Wirtschaftskraft nieder. Die Infrastruktur in der Fläche fehle. Konzepte wie die „grüne Wiese“ seien ein Verkehrstreiber – insbesondere für automobile Individualverkehre.
Die nach heutigem Stand geplante Entlastung des Klimas durch die Bahn könne nur einen Bruchteil zur Klimaneutralität beitragen, wenn nicht an anderer Stelle maßgebliche Stellschrauben mitberücksichtigt würden. Der Deutschland-Takt sei in seiner pilotierten Konfiguration kein Klimaschützer. Mindestens ein Viertel der Kfz-Kilometer sei darüber hinaus zu reduzieren. Dies gelinge mindestens mit einem Tempolimit und deutlich kleineren Fahrzeugen sowie einem massiven Bahn-Ausbau, um die Kapazitäten zur Verlagerung zu schaffen. Der Deutschland-Takt nach derzeitigem Verständnis habe kaum mit dem Nahverkehr zu tun. Dabei müsse die eigentliche Interpretation auf dem Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs liegen.
Probleme existierten auch bei grenzüberschreitenden Verkehren aufgrund anderer Technik, fehlender Koordinierung oder schlechter Vernetzung. 80 Prozent alle grenzüberschreitenden Verkehre seien Nahverkehr. Der Güterverkehrsanteil nehme bei grenzüberschreitendem Bezug ab. Nachtzugmagistralen könnten sehr effektiv europäische Hauptstädte verbinden. Grenzüberschreitende Verkehre müssten priorisiert und europäisch fokussiert werden.
Problematisch sei zudem das vorherrschende verkehrspolitische Denken von Punkt zu Punkt und nicht entlang von Kapazität.
Es brauche darüber hinaus eine konsequente Kosteninternalisierung und Subventionsabbau.
Den drei großen „V“ – Verlagerung, Vermeidung, Verbesserung – müsse weit mehr Gewicht zukommen.
Struktur der Bahn
Die Neustrukturierung der Bahn könne durch unternehmerische Neugliederung effektiv sein. Ein Verkauf von Unternehmensteilen wird in verschiedenen Beiträgen kritisch bewertet. Das Zusammenführen der Infrastruktur in einem gemeinnützigen Unternehmen sei sinnvoll, insbesondere für günstige Trassenpreise. Eine große Umstrukturierung koste jedoch Zeit. Aufgrund von Synergien sollten Netz und Betrieb der Bahn nicht aus dem Gesamtkonzern herausgelöst werden. Dies habe sich in England bereits als hochproblematisch erwiesen. Es dürfe keinesfalls der Fernverkehr privatisiert werden. Bereits der Wettbewerb im Nahverkehr zeige, dass die Wettbewerber meist staatliche Unternehmen aus dem Ausland seien. Im Übrigen sei kritische Infrastruktur grundsätzlich staatlich zu halten. Die Wettbewerbslogik sei beim Konzernumbau kritisch zu hinterfragen.
Schienennetz und Verkehre
Es bedürfe einer Korrektur der Investitionspolitik: weniger Fokus auf Großprojekte und Hochgeschwindigkeit. Vielmehr brauche es zusätzliche Weichen und Kreuzungen, eine Harmonisierung der Geschwindigkeit und eine verstärkte Einbeziehung der Güterverkehr in die Gesamtsystemlogik der Bahn.
Der Fernverkehr allgemein werde von der Politik strukturell überschätzt. Die Hauptemission ergebe sich im Regionalverkehr. Ein Viertel aller Strecken betrage weniger als 15 Kilometer. Die Hälfte aller Strecken umfasse bis zu 35 Kilometer. Daher müsse der Fokus auf regionalen S-Bahn-Verbindungen liegen. Gerade in ländlichen Regionen müssten viele neue Haltepunkte im Sinne eines regionalen S-Bahnen System zur besseren Erschließung eingerichtet werden. Bahn müsse dabei immer als integriertes System gedacht werden: Es seien immer Bus-Schiene-Konzepte sowie Bike and Ride zu konzipieren. Es brauche ein flächendeckend dichtes Netz. Das erfordere auch Reaktivierung. Die Vernetzung der Regionen per Bahn sowie die Vernetzung der Bahn mit Bus und Fahrrad muss zwingend vorangetrieben werden. Der Interregio müsse als Produkt wieder eingeführt werden. Regionalverkehre sollten vielmehr auch Schnellstrecken mitnutzen. Die Realität offenbare jedoch, dass gerade im Nahbereich auf der Kurzstrecke die Bahn versage und das Auto genutzt werde. Es gebe kaum Fortschritt dabei, die S-Bahn in die Fläche zu bringen.
Im Güterverkehr sei eine entgegengesetzte Dynamik festzustellen: Die Hälfte aller Güter-Kilometer betrage über 400 Kilometer Distanz, drei Viertel noch über 200 Kilometer. Daher bestehe enormes Potential für Güterverkehr auf der Schiene. Auch sei der Energievorteil der Bahn gegenüber dem Lkw größer als gegenüber dem PKW. Eine Verlagerung insbesondere des Güterverkehrs auf die Schiene könne neben verkehrlichen Effekten auch positive Auswirkungen auf den Fachkräftemangel sowohl auf der Schiene als auch im Speditionsgewerbe als auch für die sozialen Arbeitsstandards haben.
Besonders diskutiert wird das Klimabahn-Konzept anlässlich der Überlegung, Schienen auf der Autobahn zu verlegen. Die DEGES müsse in jedem Fall auch mit der Schiene befasst werden. Die Autobahntrassen bestünden bereits. Auch wenn etwa Bodenbelastung, Neigung, Radien oder Recht (etwa § 6 Fernstraßengesetz) teils erhebliche Unterschiede aufwiesen, so müsste dennoch ein Überblick über die Machbarkeit von Schiene auf Autobahn gewonnen werden. Autofahrenden Bürgerinnen und Bürgern wäre eine Autobahn mit zwei Spuren ohne Lkw lieber als eine drei- bis vierspurige Autobahn mit Lkw.
Eine Trennung der Güter- und Personenverkehre sei grundsätzlich sinnvoll, mangels vorhandener Kapazität aber problematisch.
Zu Finanzierung und Wirtschaftlichkeit, die immer als Argumente herangezogen werden, gelte, dass angepasste Fahrzeuggrößen und Geschwindigkeiten sowie Einsatz modernster Technik die entsprechende Nachfrage für einen wirtschaftlichen Betrieb garantierten. Es brauche dichte Takte (mindestens 30 Minuten) in der Fläche. Eine doppelte Fahrt führe nicht zu doppelten Kosten. Es brauche neue Fahrzeuge im Format der ehemaligen Schienenbusse. Diese müssten erneuerbar angetrieben werden. Für die Fahrzeugindustrie in Deutschland würde dies ein erhebliches Auftragsvolumen bedeuten.
Statt Prestigeobjekte brauche es Kapazitätsausbau im Zulauf zu Ballungsräumen. Die Dichte des Netzes sei insgesamt sehr entscheidend. Problematisch wirke sich daher der Abbau von Überholgleise und fehlende Umfahrungsstrecken aus. Ein redundantes Netz, wie es etwa im Energiebereich vorgehalten werde, fehle.
Der Freizeitverkehr bleibe beim standardisierten Bewertungsverfahren trotz seiner verkehrlichen Relevanz ausgeklammert. Dies hemme Bauprojekte.
Der Fokus auf Tempo sei kontraproduktiv. Dies zeige unter anderem der Sanierungsbedarf. Verschleiß sei geschwindigkeitsabhängig. Die Generalsanierung sei hoch problematisch für die Bahn insgesamt: Eine Sanierung unter rollendem Rad dauere länger, halte aber den Verkehrsfluss aufrecht, wohingegen eine Sperrung schneller, aber weniger mild wirke. Es brauche dringend daher geeignete Ausweichstrecken.
Ausblick
Es ist Konsens unter allen Anwesenden, dass dringend mehr Bahn in die Fläche gebracht und bestehende Infrastruktur ertüchtigt werden muss. Über die vielen Aspekte werden wir im Gespräch bleiben. Die Klimabahn-Initiative ist ein gelungener Beitrag für eine rasche und spürbare Verbesserung. Für Vorstellung und Diskussionsbereitschaft danken die Organisatoren des SPD-Klimaforums sehr herzlich Professor Heiner Monheim, Dr. Holger Busche und Norbert Holtz. Abschließend bestand noch die Möglichkeit weiter ins Gespräch zu kommen.